Bericht aus der Blogsphäre


Menschen die für Bücher brennen

Caroline Schultz

In der Mode- und Beautywelt sind sie nicht mehr wegzudenken. Blogger testen und schreiben über Kosmetik oder stellen online neue Fashiontrends vor. Buchliebhaber in Deutschland können sich jetzt freuen, denn inzwischen hat sich dieser Trend auch in der Buchwelt etabliert.


Frankfurter Buchmesse

Timothy Sonderhüsken auf der FBM
Das kleine Viereck des dotbooks-Stands ist umzingelt. Unmöglich können die wenigen Quadratmeter den Menschenschwarm beherbergen, der sich außen herum versammelt hat. Timothy Sonderhüsken, der Programmleiter, steht leicht erhöht und gut erkennbar mit einem Mikro in der Hand. Über ihm leuchtet das hellgrüne dotbooks-Logo. Von dort kann er die immer dichter werdenden Teilnehmerreihen überschauen. Seine Ansprache zum Auftakt des Bloggerfrühstücks hat bereits begonnen, doch fortlaufend trudeln weitere Buchblogger ein. Die Troika aus Aufbau-Verlag, Skoobe und dotbooks, hat gemeinschaftlich für diesen Messesamstag in Frankfurt eingeladen. Die Gesichter der Wartenden gehören mehrheitlich jungen Frauen. Kaum eine ist älter als 30 Jahre. Müdigkeit spiegelt sich in ihren Mienen, während sie den Worten des Redners zuhören. Drei anstrengende Messetage liegen bereits hinter den Bloggern. Drei Messetage voller Bloggertreffen, Networking und reichhaltigem Buchmesseprogramm. Schließlich wird das Zuhören und Warten belohnt. Jeder Teilnehmer wird mit einer hellgrünen Stofftasche voller Infos und Lesematerial, einer sogenannten Goodiebag, beschenkt. Beim anschließenden Frühstück am Aufbau Verlagsstand gibt es dann Brezeln und Zeit für Austausch und Gespräche mit Autoren und Verlagsmitarbeitern. Schnell noch ein gemeinsames Foto, dann zieht es die Blogger bereits weiter, denn auch der vorletzte Messetag ist voller Terminstress. Mit ihren hellgrünen Taschen schwärmen sie wieder hinaus in alle Winkel der weitläufigen Hallen und twittern an diesem Tag Messe-Selfies mit einem grünen
Goodiebags für Blogger
Taschenhenkel über der Schulter.
„The Place To Be“ lautet der offizielle Slogan der Frankfurter Buchmesse 2015. Ein Statement, das nicht nur zu den üblichen Fachbesuchern passt. Es ist auch das treffende Motto für die zahlreich anwesenden Buchblogger. 1400 Buchblogger waren bereits 2014 für die Frankfurter Buchmesse akkreditiert und die Veranstalter sprechen von stetig wachsenden Zahlen. Ein Blick in das Messeprogramm beweist zudem die gestiegene Zahl der Bloggerveranstaltungen. Aufgefallen ist das auch Holger Reichert, der auf seiner Website Wortmax.de sagt: „Buch- und Literaturblogger waren auf meinen Messereisen 2015 das bestimmende Thema, anders als in den Jahren zuvor ...“ 


Ein Buchblog hat tausend Gesichter

Was ist anders als in früheren Jahren? Was sind eigentlich Buchblogs und was bieten sie? Wo kommen sie her? Warum werden Buchblogs in den Mittelpunkt gerückt und was macht sie bedeutsam? Um das zu verstehen, empfiehlt es sich die eine oder andere Website eines Buchblogs anzuschauen. Hier einige Beispiele: Die „Geschichten Agentin“ bloggt in einem klaren Magazinstyle und legt ihr Gewicht vermehrt auch auf Sachbücher. Jung und trendy dagegen, mit einer gut dosierten Note pink im Design, richtet sich „Lottasbuecher“ vorwiegend an weibliche Leser von Liebesromanen und Fantasy Literatur. Das „Buchgefieder“ flattert durch alle Genres, in ihrem Nest finden sich anspruchsvolle Romane, Reiseliteratur, Thriller und von allem ein bisschen. Fröhlich, dabei modern und stilvoll ist auch ihre Bloggestaltung. Marcel Reich-Ranicki sagte einmal, in der Literatur gibt es nur zwei Themen, die Liebe und den Tod, alles andere sei Mumpitz. Liebe und Tod im Thrillerformat rücken in Steffis-Bücher-Bloggeria ins Zentrum der Beiträge. Im BücherKaffee, da gibt’s dann Zeit zum Lesen, Genießen und Entspannen. Lesestunden bloggt einfach über die‚ allerschönsten Bücher‘ und setzt diese anspruchsvoll mit Fotografien in Szene. Es gibt Buchblogs für jeden Geschmack, jeder Einzelne füllt eine andere Nische und bedient eine andere Zielgruppe.

Für die Liebhaber zeitgenössischer Romane, Krimis und Thriller ist der Blog DieLiebezudenBuechern.de mit ausführlichen Rezensionen rund um aktuelle Spannungsliteratur ein guter Einstieg. Die Besonderheit der Buchblogs liegt im persönlichen Schreibstil, mit dem die Blogger und Bloggerinnen ihr eigenes Leseerlebnis in den Vordergrund rücken. Sie unterliegen keinen Redaktionsvorgaben und keinem Stilkorsett, sodass sie frei und glaubwürdig Leser für ihre Lieblingsbücher begeistern können. Ganz so, als käme die Buchempfehlung von der besten Freundin. Anders als in den Printmedien kann hier ein offener Dialog entstehen. Neben Rezensionen gibt es häufig auch Gewinnspiele, Blogtouren, Adventskalender und weitere Berichte und Aktionen.
Jeder Buchblog hat ein Impressum und üblicherweise ein Bloggerprofil, auf dem sich die Verfasser ihren Lesern vorstellen. Auf diese Weise finden Buchbegeisterte die Buchblogger, die zu ihren Lesewünschen passen, und können sicher sein, dass sie eine authentische Meinung erhalten. Weil jeder Buchblogger selbst entscheidet, worüber er schreibt, werden nicht nur die Buchtitel durchgelutscht, über die ohnehin in jedem Feuilleton gesprochen wird. Das Angebot ist breiter und zeitloser.
"Literaturkritik im Web hat einen längeren Atem und einen größeren Hallraum, sagt auch die Lyrikerin Nora Gomringer (Gewinnerin des Ingeborg-Bachmann-Preises 2015)."

Auf dem Blog DieLiebezudenBuechern.de punktet Petra Lux (genannt Petzi) bei ihren Lesern zusätzlich mit einem gut gemachten Design und sagt dazu selber: “Es ist ein zeitaufwendiges Hobby, vor allem wenn man ein bisschen perfektionistisch veranlagt ist. Ich möchte alles toll machen und gebe mich nicht mit dem Einfachen zufrieden, das fängt schon beim Blogdesign an. Das ist wirklich viel Arbeit.“
Diese Liebe zum Detail ist beim Stöbern in den Buchblogs immer wieder zu erkennen. Petzi startete ihren Blog im Februar 2012. Ähnlich lange sind auch eine Reihe anderer Buchblogs online. „Es gibt kein zentrales Telefonbuch, in dem man alle Blogs finden würde“ sagt Tobias Zeising von Lesestunden.de und hat aus diesem Grund eine Topliste deutscher Buch- und Literaturblogs zusammengestellt. Er zählt mittlerweile fast 900 Buchblogger in Deutschland. Auch Petzi kann keine endgültige Zahl nennen: „Es gibt einfach massenhaft Buchblogger und es werden gefühlt auch immer mehr!“


Die neue Generation in der Literaturkritik


Literaturkritik schien in der Vergangenheit ein gewisses Mindestalter und gesellschaftliche Stellung zu erfordern. Durch Blogs, Facebook & Twitter hat sich die Literaturkritik sichtbar demokratisiert und gewandelt. Sie findet nur noch zum Teil in den klassischen Medien statt. Der Kulturjournalist Stefan Mesch (Die Zeit / Der Tagesspiegel) befürwortet den Diskussionsraum, welchen das Internet und die sozialen Medien eröffnen: „Ich bin glücklicher, seit wir alle bei Facebook über Bücher reden“, sagt der Kritiker.

Auf die Frage, ob eine Buchrezension, egal von wem, schon eine Literaturkritik sei, antwortete Stefan Mesch mit einem eindeutigen „Ja“.
Stefan Mesch (c) Caroline Schultz
Er beschreibt die anfängliche Abwehrbewegung gegenüber den Buchbloggern so: „Das Feuilleton sagte, sie wissen nicht was diese Blogger machen, aber mit ihnen hätte das nichts zu tun! Aber ich finde das schon, denn Blogger schreiben auch Glossen oder etwas Rotziges, das klingt dann genauso. Natürlich geht es auch um Sorgfalt und Professionalität und es gibt tausend Unterschiede, aber grundsätzlich finde ich, ist es dasselbe.“ Mesch fährt fort: „Als dann die Leute im Feuilleton endlich verstanden haben, dass auch in Blogs etwas Interessantes passieren kann, war seitens der Buchblogger eine Gegen-Abwehr-Haltung entstanden.“ Mesch zitiert dabei Bloggerstimmen: – ‘Literaturkritik will ja immer ganz objektiv sein, aber so bin ich nicht, hier geht es nur um mich und mein Lesen‘ - dazu sagt er: “Bei Elke Heidenreich geht auch oft nur um sie und ihr Lesen. Da wird so ein Graben gezogen, und ich sehe ihn ehrlich nicht! Das sind die Menschen, die für Bücher brennen, warum sollen wir uns gegenseitig zerfleischen?“
Der Kulturjournalist verlinkt auf seiner Website gerne seine Lieblingsblogs. Der Annahme, dass er sich als Fachmann nicht genug von Bloggern abgrenzt, widerspricht er vehement: „Ich bin kritischer als alle Blogger, die sind viel zu gefühlvoll und ich finde in keinem Blog Verrisse. Ich habe verschiedene Leute gefragt, ob es ihnen lieber wäre, wenn ich ihnen zehn Bücher nenne, die sie nicht lesen müssen, oder lieber eins, das sie unbedingt lesen müssen? Alle sagen, was das für eine Frage sei? Unbedingt eins! Aber ich denke das Gegenteil, ich sage unbedingt zehn!
Ich warne total gerne und keiner dieser Blogs warnt. Es geht doch nur um den Verlag und den Autor. Ein schlechtes Buch ist wie so ein Loch, wie eine Grube, da können Leute reinfallen und ganz viel Zeit verlieren! Ich frage mich immer, ob diese Buchblogger wirklich so glücklich sind mit 80 Prozent von allem, was sie lesen? Zu häufig lese ich den Satz – ‘Was für ein beeindruckendes Buch‘ - ich finde zwei Bücher beeindruckend, aber nicht zwei pro Woche! Die Leser sind mir wichtiger als die Gefühle der Autoren“ fasst Mesch zusammen.
Bloggerin Petzi fährt auch keinen Kuschelkurs, will aber konstruktiv bleiben. Über die Inhalte auf DieLiebezudenBuechern.de sagt sie: „Ich schreibe Rezensionen zum gelesenen Buch. Es ist schon so, dass ich nicht nur positive Sachen schreibe. Ich rezensiere auch Bücher, die mir nicht gefallen haben. Vorausgesetzt, ich habe sie bis zum Ende gelesen. Wichtig ist, dass man seine Kritik konstruktiv begründen kann. Geschmäcker sind glücklicherweise verschieden.“


Bloggerkick für die Karriere

Dass Buchblogger inzwischen nicht nur das Vertrauen der Verlage, sondern auch der Autoren gewonnen haben, belegt auch die Literaturblog-Studie 2015 von Digital Publishers, an der über 300 Literaturblogger aus Deutschland teilgenommen haben. Mehr als die Hälfte, genau 62 Prozent der Blogger bekommen ihr Lesematerial direkt von Autoren angeboten. Bloggerstimmen bestätigen, dass sich mindestens einmal wöchentlich Autoren per E-Mail bei ihnen vorstellen, ihre Bücher präsentieren, Leseexemplare anbieten und um Rezensionen bitten.
Der deutsche Thriller-Autor Sebastian Fitzek hat sehr früh verstanden, dass die sozialen Medien viele neue Wege für Autoren eröffnen, ihr Publikum zu finden. Die Berliner Agentur VM-People unterstützt Fitzek seit 2008 dabei, in der Startphase eines neuen Romans die besonders begeisterungsfähigen Leser zu erreichen. Mit der Durchführung von  „Alternate Reality Games“ erreichen die Agenturleute vor allem die besonders gut vernetzten und einflussreichen Blogger, verrät ein ehemaliger Agenturmitarbeiter.
Im Jahr 2013 suchte Fitzek auch den unmittelbaren Kontakt zu den Buchbloggern. In nur sieben Tagen hielt er in 50 privaten Wohnzimmern Lesungen bei Buchbloggern daheim. Eine bemerkenswerte Aktion, über die die besuchten Blogger, wie z. B. Buchgefieder.de im Netz berichteten. Nicht nur seine außergewöhnlichen Thriller, auch seine ungewöhnlichen Marketingmethoden haben Sebastian Fitzek eine Gesamtauflage von acht Millionen verkauften Exemplaren beschert. Angesichts dieser Zusammenhänge wird klar, das freie Sprachrohr der Buchblogger bleibt nicht von den Werbeabsichten der Verlage unbeeinflusst.


Blogger Relations in Zahlen und Werten

Auf Rang zwei der Literaturblog-Studie von Digital Publishers, bezüglich der Frage nach der Herkunft des Lesematerials, liegen wie erwartet die Verlage. 76 Prozent der Literaturblogger geben an, dass ihnen Lesematerial aktiv vom Verlag angeboten wird. Die Marketingabteilungen der Verlage schlafen ganz offensichtlich nicht, sie nutzen die Zusammenarbeit mit den Buchbloggern, um die digitale Meinungsbildung anzukurbeln, ihre Verlagstitel bekannter zu machen und den Verkauf zu fördern. Die Verlagsgruppe Random House schuf im März 2015 ein Bloggerportal, das den Bloggern die Möglichkeit bietet, Rezensionsexemplare aus 39 Verlagen, passend zu ihren Lesewünschen, zu bestellen. Die Gegenwährung besteht in der Angabe der Mediadaten des Literaturblogs und in der Überstellung eines Rezensionslinks. Werden Blogger so zum verlängerten Marketingarm der Verlage? Den Zahlen zufolge bewahrt sich das Buchbloggervölkchen den Mammutanteil seiner Unabhängigkeit: 95 Prozent der Umfrageteilnehmer kaufen ihr Lesematerial selbst.

Freie Leseexemplare, Bloggerlounge mit Gratiskaffee und Ähnliches dürfen Blogger ruhig annehmen, dies seien die gleichen Vorzüge, die auch akkreditierte Journalisten nutzten, sagt Holger Reichert. Die Vermutung, dass Buchblogger damit ihre Unabhängigkeit aufs Spiel setzen, hält der Wortmax.de Autor für großen Unsinn. Er sagt: „Auch Blogger brauchen Spielräume, in denen sie sich entfalten können.“ 
Da zieht die diesjährige Leipziger Buchmesse mit und bietet 15 Bloggerpaten ein ganz neues Feld der Entfaltung. Erstmals sind Blogger aufgerufen, den Preis der Leipziger Buchmesse zu begleiten. Ausgewählte Literatur- und Buchblogger erhalten die Chance, ein nominiertes Werk vor Preisvergabe zu rezensieren und diese auf ihrem Blog zu veröffentlichen.  Ein spannendes Unterfangen, bei dem die Blog-Autoren sich beweisen können. Bis es im März dann soweit ist, lesen wir noch ein paar schöne Blogbeiträge und schließen uns Petzis Meinung an, wenn sie sagt: „Ich bereue nicht, das angefangen zu haben und ich hoffe, dass es noch lange so weitergeht!“

















3 Kommentare:

  1. Oh wow! Ein wirklich toller Artikel, den ich gerne gelesen hab. Daumem hoch dafür :)

    Liebe Grüße,
    Lisa von Prettytigers Bücherregal

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    1. Danke für das Lob! Darüber freue ich mich sehr :)

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    2. Vielleicht gefällt Dir ja noch mehr?
      Liebe Grüße zurück!

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