Mit freundlicher Genehmigung von Random House |
Eine anspruchsvolle Buchschönheit
Aller Tage Abend Jenny Erpenbeck
Dieses Buch muss man wollen, doch ich wünsche mir, dass es viele
wollen, denn es ist wunderbar.
Raum- und Zeit umspannend erzählt
Jenny Erpenbeck die Geschichte einer einfachen Familie, beginnend in einem
galizischen Dorf um 19.00. Sie durchläuft dabei Stationen in ganz Europa,
teilweise Amerika und erreicht ihr Finale im Berlin der Gegenwart. Im Zentrum
der zarten und kraftvollen Erzählung stehen die möglichen Leben und
Lebensentscheidungen der halbjüdischen Tochter und ihrer Angehörigen.
„Der Herr hat’s gegeben, der Herr
hat’s genommen, hatte die Großmutter am Rand der Grube zu ihr gesagt. Aber das
stimmte nicht, denn der Herr hatte viel mehr genommen, als da war – auch alles,
was aus dem Kind hätte werden können, lag jetzt da unten und sollte unter die
Erde.“
„Hätte aber zum Beispiel die
Mutter oder der Vater in der Nacht das Fenster aufgerissen, hätte eine Handvoll
Schnee vom Fensterbrett gerafft und dem Kind unters Hemd gesteckt, dann hätte
das Kind vielleicht plötzlich wieder angefangen zu atmen, vielleicht auch zu
schreien, jedenfalls hätte sein Herz wieder angefangen zu schlagen,…“
Mit friedlich, erzählerischen
Stil überführt sie ihre Leser auf eine höhere Gedankenebene und lässt uns das
Leben aus einem Winkel betrachten, den wir vormals nie betreten haben. Voller
kleiner Dinge und scheinbar unwichtiger Vernetzungen, knüpft Jenny Erpenbeck
mit ihrer leisen poetischen Sprache eine Geschichte die uns mitnimmt und
fortträgt. Ihre Fragen wirken auf uns, erzeugen ein Gefühl von Klarheit und gleichzeitiger
Verwirrung.
Jenny Erpenbeck verzichtet fast
vollständig auf Namen und der Leser muss die Personen anhand der verwandtschaftlichen
Beziehungen auseinander halten. Tochter, Mutter, Großmutter, Vater, Schwester, Vetter,
Freund, Freundin, Sohn. Was zunächst experimentell anmutet, erweist sich als
brillantes Stilmittel für die Gewichtung und Ausarbeitung der Beziehungen in
der Familie.
Jenny Erpenbeck Frankfurter Buchmesse 2012 |
Jenny Erpenbeck Frankfurter Buchmesse 2012 |
1999 erschien ihr Debüt „Geschichte
vom alten Kind“ Nach weiteren Veröffentlichungen feierte sie zuletzt mit Ihrem
Roman „Heimsuchung“ einen großen Erfolg bei Publikum und Kritik.
Mit ihrem vorliegenden Roman „Aller Tage Abend“ wurde Jenny Erpenbeck verdientermaßen für die Longlist des deutschen Buchpreises 2012 nominiert
Wer einen reinen Unterhaltungsroman
sucht, ist mit diesem Buch sicher schlecht beraten, wer aber eine Geschichte, quer durch die
Epoche mit Reflektion und Nachhall mag, der sollte sich: „Aller Tage Abend“ von
Jenny Erpenbeck nicht entgehen lassen.
Ich kann lediglich meine Aussage
von oben wiederholen: „Dieses Buch muss
man wollen, doch ich wünsche mir, dass es viele wollen, denn es ist wunderbar.“
Caroline Schultz
Nun erhält Jenny Erpenbeck für den vorliegenden Roman den Evangelischen Buchpreis 2013: http://www.evangelischerbuchpreis.de/preistraeger/2012.html
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